Unsere Gehirne sind meisterhafte Erzähler.
Sie verstehen es ausgezeichnet,
sogar aus eklatanten Widersprüchen
eine stimmige Geschichte zu spinnen.
Das Ich ist so ein Märchen,
eine vom Gehirn aus Zweckpragmatismus
erfundene Fiktion.
David Eagleman, Neurowissenschafter
In einem Universum von Ursache und Wirkung kann es keine Person mit einem souveränen Willen geben. Das Ich, so wie wir es verstehen, ist ein Märchen. Das Hirn macht uns etwas vor.
Peter Pfrommer, der Autor des Buches "Die Entdeckung der Ichlosigkeit", schreibt im Vorwort: "Hier geht es letztlich um die Entdeckung, dass es niemanden gibt, der eine Entdeckung machen könnte. Die Entdeckung findet statt. Und sie ist nun wirklich nichts Neues. Die indische Mythologie verkündete die Ichlosigkeit vor Tausenden von Jahren ebenso wie letztlich jede Weltreligion."
Tatsächlich finden sich in jeder der Weltreligionen jene, die Mystiker genannt werden. Mystik ist die Religion von Gott, der innen ist. Gott ist nicht mehr ein Gegenüber. Er kommt nicht von aussen auf mich zu, sondern erobert mich von innen. Wenn ich mich vollständig diesem Gott ergebe, dann ist nichts mehr von mir übrig, dann ist da nur noch Er. Mein Ich ist jetzt sein Ich. Mit anderen Worten: Ich bin er.
Kein Ich - keine Moral
Peter Pfrommer warnt: "Aber Vorsicht, unter Ichlosigkeit ist nicht etwa so etwas Ähnliches wie Selbstlosigkeit gemeint, also jenes moralisch untadelige Verhalten, das sein Ich gegenüber dem Ich der anderen zurückstellt. Selbstlosigkeit setzt das Vorhandensein eines Ichs voraus, sonst könnte ja nichts zurückgestellt werden. Nein, der Begriff der Ichlosigkeit soll genau das ausdrücken, was er besagt, nämlich dass ein Ich überhaupt nicht existiert."
Aus der Sicht der Mystik möchte ich anfügen: Dort, wo das Ich von Gott gekapert wird und zu seinen Gunsten verschwindet, ergibt sich die gleiche Situation: So etwas wie ein Ich gibt es nicht, hat es nie wirklich gegeben. Es ist diese Illusion des Ich, die uns von unserer Göttlichkeit trennt.
Moral, also die Vorstellung, dass ein bestimmtes Verhalten in allen Situationen richtig ist, unabhängig vom konkreten Kontext, ist eine zutiefst menschliche Vorstellung. Moral ist gewissermassen das Alleinstellungsmerkmal des Ich als Ego. Es sind die Egoisten, welche - gerne lauthals - auf Moral pochen und dadurch deren Beschädigung nie bei sich selber sehen können, sondern immer bei den anderen sehen müssen.
Nichts ist tatsächlich weniger menschlich, als menschliche Beziehungen, die auf Moral gegründet sind.
Allan Watts
Gott ist jenseits von Moralität, jenseits der Dualität von Moral und Unmoral. Er ist amoralisch. Amoral ist die Voraussetzung für jene nicht-menschliche Liebe, die Jesus meint. Oder anders gesagt: Es ist die Moral, die den meisten Christen in den Weg kommt, wenn sie versuchen, Jesu Einladung zur universalen Liebe anzunehmen.
Der Apostel Paulus schreibt an die Galater: "Ich tue euch aber kund, liebe Brüder, dass das Evangelium, das von mir gepredigt ist, nicht menschlich ist."
Auf der Seite zum Thema Keuschheit sehen wir anhand eines Textes von Dostojewski, der Grossinquisitor, in welches Dilemma die Christen durch dieses Verständnis des Evangeliums gestürzt werden.
So wie Gott nicht unmoralisch sondern amoralisch (also nicht-moralisch) ist, so ist das Evangelium nicht unmenschlich sondern nicht-menschlich.
Die Entdeckung der Ichlosigkeit ist also Tausende von Jahren alt. Auf dieser Website widmen wir uns seit fünf Jahren diesem Thema. In unserer Zitate-Datenbank finden sich über 1500 Beispiele aus der Literatur, welche sich direkt oder indirekt mit der Ichlosigkeit befassen. Zum Beispiel dieses Zitat. Ein aktuelles Beispiel ist auch Paolo Sorrentinos "atemberaubende Fernsehserie" ( NZZ) "The Young Pope".
Im Sandwich der Quantenphysik
Noch nicht ganz so alt wie die Entdeckung der Ichlosigkeit ist die Quantenphysik.
Vor rund hundert Jahren beschrieben erstmals Physiker Phänomene, welche mit der klassischen, mechanistischen Physik nicht zu erklären waren. Später stellte sich heraus, dass die neue Physik der klassischen Physik in wesentlichen Punkten widerspricht.
Nein, das Universum ist kein Uhrwerk, das einmal von einem Schöpfergott aufgezogen und dann von ihm im Stich gelassen wurde - und jetzt gottlos vor sich herschnurrt, wie Newton meinte.
Wissenschaft und Religion ergänzen und bedingen einander. Gott steht für den Gläubigen am Anfang, für den Physiker am Ende des Denkens.
Max Planck, Begründer der Quantenmechanik
Mit der Quantenphysik eröffnet sich eine völlig neue Sicht auf die Wirklichkeit. Und diese neue Sicht tangiert auch unser Selbstverständnis als scheinbar autarke, souveräne Personen.
Für das ganz Kleine und das ganz Grosse in diesem Universum gelten offenbar andere Regeln als für die Welt, wie sie sich uns Menschen dem blossen und ignoranten Auge präsentiert. Und wenn Sie meinen, das ganz Kleine - der Mikrokosmos der Quantenphysik - und das ganz Grosse - das Universum der Astronomen - hätten nichts mit Ihrem irdischen Leben zu tun, dann fragen Sie einfach einmal ein Sandwich, ob es ohne das Brot existieren kann. Oder fragen Sie Mani Matter.
Beispiele, Pointers
Mit Nisargadatta Maharaj, Jesus, Rupert Spira, Hanspeter Pfrommer und Douglas Harding möchten wir Ihnen fünf Nicht-Persönlichkeiten (oder no-bodys) vorstellen, welche über die hier erörterten Themen gesprochen oder Bücher geschrieben haben.
Wir stellen fest, dass unsere tatsächliche Erfahrung des Körpers und der Welt ganz anders ist, als wir denken. Und dass das Denken bestimmt, was wir zu erfahren meinen. Wir glauben das, was andere gesagt haben, wer wir sind. Wir ignorieren, wie wir uns tatsächlich und überprüfbar erfahren: Nicht als Objekt in dieser Welt, sondern als das Bewusstsein, welches die Welt in jedem Augenblick neu erschafft.
Selbstentfesselung
Wir sollten uns nicht wundern über eine verrückte Welt. Sie erscheint uns so, weil wir den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts mit einem Weltbild aus dem 19. Jahrhundert begegnen.
Abraham Lincoln meinte einmal angesichts grosser Schwierigkeiten, denen er sein Land gegenübersah: "Die Dogmen der ruhigen Vergangenheit sind für die stürmische Gegenwart unzureichend. Die Lage ist voller Schwierigkeiten und wir müssen mit der Lage wachsen. So wie unsere Situation neu ist, so müssen wir auf neue Art denken und handeln. Wir müssen uns selbst entfesseln - und dann werden wir unser Land retten."
Felix Baumgartner
Horizont Emmental